Das kleine „Siehdichum“ von Liegnitz

Druck und Verlag Friedrich Janzen Liegnitz ca. um 1930 erschienen, abgeschrieben nach der damals üblichen Schreibweise von Peter Winkler

Bahnhof

Du bist dem Bahnhofsschlund entstiegen. Wo ist Liegnitz?

Ein Häuserblock von Hotels raubt dir den Blick nach der Stadt.

Hotels am Bahnhof

Die Stadt hat heute über 74.000 Einwohner, sie ist sehr alt und war einmal die Herzogsstadt von Schlesien! Größer war ihre Vergangenheit als ihre Gegenwart.

Sieh dich um nach ihrer Vergangenheit!

Da wo du stehst, war ehemals Hag, Wiese und Busch vor der Stadt: der „Glogauer Hag“. Hier draußen stand einmal (seit 1475) ein Franziskanerkloster, das in der Reformationszeit schon verschwand. Der Bahnhof wurde 1844 angelegt, als man die Eisenbahn nach Breslau baute; er wird jetzt umgebaut: Daher sieh dich nicht nach ihm um!

Eine Wanderung nach Alt-Liegnitz.

An dem Häuserblock der Hotels kannst du west- oder ostwärts, rechts oder links vorbeikommen, um zur Stadt zu gelangen.

„Siehdichum“ weist dich rechts, westwärts, an der Klosterstraße vorbei zur Glogauer Straße, zum Reichspostgebäude (1892) erbaut).

Post

Hier erstreckte sich einst das Dorf Hennigsdorf, hier stand Domstift und Kirche, bis bei der Verstärkung der Befestigung zur Hussitenzeit Dorf und Kirche abgetragen wurden seit 1428.

Dahinter ragt der Glogauer Torturm und der Haynauer Torturm allein zeugen von der alten Herrlichkeit der Festung Liegnitz.

Der Breslauer Torturm und der mächtige Goldberger mit dem Susenturm sind gefallen, wie die Stadtmauer, von der ein größeres Stück im „Elisenhof“ hinter der „alten Schule“ beim „neuen Rathause“ noch steht. Die älteste Stadtmauer wurde nach der Wiedererbauung der von den Mongolen verbrannten Stadt errichtet, zwischen 1250 und 1300, um 1350 wurde die Anlage erweitert, die Judengasse und S. Johanniskirche in den Mauerring einbezogen; in den Hussitenkriegen wurde die Befestigung der Stadt so verstärkt, dass sie allen Angriffen trotzen konnte; Friedrich II. hat zwischen 1530 – 1550 wiederum kostspielige Maueranlagen, besonders an dem Schlosse, ausgeführt, so dass Liegnitz für Kaiser Karl V. als eine rechte Festung galt. Im Dreißigjährigen Kriege im Kampfe mit Sachsen und Schweden sind erneut Wall und Graben, Redouten und Lünetten von den Kaiserlichen aufgeführt worden; aber als Friedrich der Große 1757 nach der Schlacht bei Leuthen Liegnitz nach kurzer Belagerung am 25. Dezember nahm, befahl er, den Festungsgürtel abzutragen.

Zu Napoleons Zeit, im Sommer 1813, begann zwar die französische Besatzung noch einmal die Stadt zur Verteidigung einzurichten, die Mauer wurde mit Schießscharten versehen, Verschanzungen wurden angelegt, aber die Schlacht an der Katzbach machte auch Liegnitz für immer frei, die Stadtmauer selbst fiel 1860. Da wo einst zwischen dem äußeren und inneren Graben der breite Endwall die eigentliche Festung umschloß, umzieht jetzt ein breiter Promenadengürtel die Stadt Liegnitz mit ihrem Schloß.

Schloss

Sieh dich um! Diese Promenadenanlage durchschreitest du zwischen Reichspost und Glogauer Torturm und stehst nun vor dem Schlosse.

Alt ist das schöne Renaissanceportal mit den Bildnissen Friedrichs II. von Liegnitz und seiner Gemahlin Sophie von Brandenburg (1533) und die Türme, der runde Hedwigsturm, der eckige Petersturm (1415); der Renaissancebau des Schlosses unter Friedrich II. errichtet, unter Georg Rudolf verschönt, brannte 1835 nieder. In dem Neubau von 1838 – 1840 ist jetzt der Sitz der Regierung, seit 1809.

Hier fanden schon die Mongolen eine Burganlage von Wiese, Sumpf und Wasser umgeben, die sie nicht nehmen konnten, hier haben seit Boleslaus I. Zeit 1163 Piastenherzöge regiert, die heilige Hedwig lebte hier, Hans von Schweinichen diente hier getreulich seinen herzoglichen Herren. Die deutsche Geschichte Schlesiens im 13. Jahrhundert hat hier ihren Ausgangspunkt und ihr Bollwerk. Uralt mag diese befestigte Verteidigungsanlage an der hohen Straße von der Elbe nach der Oder hin sein.

Dem Schloßtor schräg gegenüber, Schloßstr. 21 steht noch das „Fürstliche Freihaus“

Schloßstrasse

welches der Herzog dem getreuen Hans von Schweinichen als Stadtwohnung überließ und das dieser sparsame Hausvater nach dem Brandschaden von 1609 sich mit eigenen Mitteln neu erbaute.

Geht man die Schloßstraße weiter, so kann man durch die Burgstr., Mittelstraße oder am Zollamt und der Frauenkirche vorbei durch die Frauenstraße zum Hauptplatze der alten Stadt, zum Ringe gelangen.

Alle drei Straßen sind heute lebhafte Geschäftsstraßen, aber noch reich an alten, schmalgiebligen Häusern und schönen Portale, wie z. B. Burgstraße 26, Frauenstraße 23 und 35.

Frauenstrasse

Sieh dich um rät dir, zuerst einmal vom fürstlichen Freihaus rechts oder westlich abzubiegen in den „Neuen Weg“, südlich der Schloßfront. Hier war einst das Ghetto, am Rande der Stadt. Ambrosius Bitschen erwarb diese Judengasse von der Herzogin 1446 zum Abbruch, um die Stadtummauerung hier zu erweitern.

Stadtschreiberhaus Bitschen

Der „neue Weg“ mündet in den Kohlmarkt, auf dem einst Holzkohle feilgehalten wurde. Hier steht auf der linken Seite (S.O.) das Leubuser Haus, errichtet 1726 durch den Abt von Leubus, dessen Zeichen L. A. L. über dem Portal den Besitz anzeigt, die Steinfiguren darüber sind die Johannis des Täufers und der h. Hedwig. Der schöne Barockbau bildet ein wirkungsvolles Gegenüber für die herrliche Kirche gleichen Stils mit ihren gewaltigen Türmen (78 m hoch) auf der anderen Straßenseite.

Johanneskirche

Diese S. Johanniskirche steht anstelle einer alten Klosterkirche, welche die Franziskaner samt dem dazugehörigen Kloster 1294 unter Heinrich V. in Besitz nahmen und welche insbesondere Herzog Wenzel, auch Stifter der oben genannten Domkirche, 1341 verschönte und ausbaute. Damals wurde sie samt dem Kloster in die Stadtmauer einbezogen. Zweifelhaft ist, ob hier schon vorher, d. h. vor dem Mongolensturm, eine Holzkirche gestanden hat. Diese gotische Klosterkirche war auch die Begräbnisstätte der Herzöge. In der Reformationszeit wurde sie evangelische Kirche, Trotzendorf predigte hier und lehrte. Er, wie Hans von Schweinichen wurden hier beigesetzt, ebenso Herzog Wenzel und seine Gemahlin, deren Steingrabmale jetzt die Peter-Paul-Gemeinde besitzt. Kaiser Leopold gab 1698 die Johanniskirche den Jesuiten, die den prachtvollen Barockbau aufführten. 1804 wurde sie, die nach dem Dacheinsturz von 1744 und dem Abzug der Jesuiten verwaist gewesen, katholische Pfarrkirche und in den heutigen Zustand des Innern und der Außenseite zwischen 1881 – 1896 versetzt. Sie enthält ein wertvolles Bild des schlesischen Malers Willmann (Christus am Kreuz), das Gemälde der h. Hedwig von Paul Thumann über dem Hedwigsaltar, die goldverzierten Kupfersärge des Freiherrn v. Sprinzenstein und seiner Gemahlin, den prächtigen Hochaltar, vieles Wertvolle ist freilich seit dem Neubau zwischen 1700 und 1804 verloren gegangen, das Hochgrab Friedrichs II., seiner Gemahlinnen Elisabeth und Sophie und viel andere Denkmäler sind verschwunden. Auch die anschließende Fürstengruft, das Mausoleum der Piasten, hat damals schwer gelitten. Erbaut 1678 nach Entwürfen des Dichters Kaspar v. Lohenstein durch Mathias Rauchmüller, erneuert zuletzt 1899 bis 1906, birgt sie jetzt die Erinnerung an die Geschichte der Piasten in Bildern und das Gedächtnis der letzten Glieder dieses Geschlechts in den kostbaren Särgen und Steinfiguren. Die Alabastergestalten stellen Georg Wilhelm (1675 +) und seine Schwester Charlotte (1707 +) sowie deren Eltern Herzog Christian und Herzogin Luise dar.

Die Särge in den fünf Nischen sind die Georg Wilhelms, seiner Eltern, sowie des Herzogs Ludwigs IV. und seiner Gemahlin Sophie, also der drei letzten Herzöge in Liegnitz und ihrer Frauen. Das Kuppelbild, der Wagen des Sonnengotts, stillhaltend im Sternbild des Krebses, deutet auf die Herrlichkeit und den tragischen Niedergang der Piasten. Die polnische Geschichte der Piasten kennzeichnet die obere Reihe der Wandbilder des Rundbaues, die schlesische und deutsche Geschichte zeigt die untere Reihe der Bilder, acht Gemälde, aus der Geschichte Schlesiens mit Boleslaus I. beginnend, mit Georg Wilhelm endend; Bild 3 stellt die h. Hedwig, Bild 4 die Mongolenschlacht dar; Bild 2, 3 und 7 sind neue, 1908 nach den Kartons des Malers J. Langer hergestellte Gemälde; die übrigen konnten aufgefrischt werden.

In der Fortsetzung des Weges folgt auf die Johanniskirche und das Jesuitenseminargebäude am Steinmarkt 3 das schöne Patrizierhaus gleichen Stils, das Ruffersche Haus, vor den Einmündung der Mauerstaße, die mit der anschließenden Synagogenstraße (Synagoge im byzanzt. Stil 1847 erbaut)

Synagoge

an dieser Stelle den Lauf der alten Stadtmauer kennzeichnet. Schräg gegenüber der Front der Johanniskirche erblickt man den Riesenhausblock der „Ritterakademie“ von der Kehrseite (Eingang an der Haynauer Straße). Die Schule entstand auf Grund einer Stiftung Georg Rudolfs als St. Johannisstiftschule 1646, der gewaltige Bau erfolgte 1728 bis 1738, nachdem 1708 die eigentliche Ritterakademie eröffnet worden war.

Sehenswert ist der Hof und der schön geschmückte Königssaal, sehr wertvoll die hier aufbewahrte Rudolfinische Bibliothek, die kostbare Handschriften und Druck enthält, gesammelt gewiß nicht nicht nur von Herzog Rudolf, sondern von vielen seiner Vorfahren, auch, insbesondere von Friedrich II. (Reformation, Erbverbrüderung), der in Liegnitz eine Universität zu schaffen versuchte und bedeutende Gelehrte heranzog (V. Trotzendorff).

Die Haynauer Straße endete ehemals an der Stadtmauer am Haynauer Torturm, jenseits dieses Denkmals alter Zeit bedeutet die Wallstraße und anschließend nach N. die Piastenstraße, die ehemalige Wallumgürtung. Jedoch heute dehnt die Stadt zwischen Nordwest bis Südwest sich noch breit aus, hier sind im 19. Jahrhundert eine große Anzahl öffentlicher Bauten und industrieller Werke entstanden; die weithin bekannten Maschinenfabriken von Teichert, Gubisch, die Möbelfabrik von Fritsche und die Seilersche Pianofortefabrik liegen in diesem Westteil der neuen Stadt, die Landwirtschaftsschule (1875), die schöne Dänemarkschule,

Dänemarkschule

das noch schönere Lehrerseminargebäude (1912 errichtet), die Taubstummenanstalt, das städtische Krankenhaus, das alte Garnisonlazarett, die Grenadierkaserne

Grendierkaserne

mit dem Versorgungsamt, das Finanzamt, das Kindersäuglingsheim, das Sommertheater, sie alle gehören dem jungen Weststadtteil an. Auch eine Stück vergangener Zeit ist da draußen noch, das Klostergebäude der Franziskaner, mit seinem alten Portal, jetzt Armenhaus, zu dem man 1707 den Grundstein legte. Die Kirche, die 1709 daneben gebaut wurde, ein Barockkirchlein, wurde 1847 ersetzt durch den Kirchenbau der „christkatholischen Dissidentengemeinde“. Heute dient der längst verwaiste Bau weltlichen Zwecken (Wallhalla – Lichtspiele – Das Gebäude ist zum Abbruch bestimmt -) Nur die Namen der Nikolaistraße und Sternstraße erinnern noch an die Dreißigjährigen Kriege abgerissene Nikolauskirche und Kommende von S. Mathias, welche einst Heinrich V. gestiftet hatte zugunsten der Kreuzherren vom „roten Stern“.

Diese hatten das Nikolausspital zu versorgen, traten aber den Besitz nach der Hussitenzeit an die Stadt ab. - Ein Überbleibsel von jenem Kloster ist noch vorhanden. Wer in der Sternstraße (Raiffeisenlager) den Hof betritt, findet vor sich ein mit dem Kreuz auf dem Giebel geschmücktes Wohnhaus und Stallung, welche Teile der alten Klostergebäude jener Kreuzherren sind. Der Kirchhof ist jetzt Lagerhof und birgt noch Grüfte. So ist Alt – Liegnitz vielfach durch Neubauten verdeckt in stillen Winkeln von Höfen noch zu finden.

Ein Blick von oben

Du stehst jetzt am Wilhelmsplatz, am Südende der alten Stadt. Den Platz schmücken seit 1913 die Hermen Blüchers, Gneisenaus, Yorks und Sackens, die die Schlacht an der Katzbach gewannen. Drüben „am Brunnen“ steht ein Wagen der Straßenbahn. Hinein! Hinaus aus der Stadt zur Siegeshöhe!

Helden der Katzbachschlacht

Freilich mußt du ein Stück zuletzt bergauf gehen, aber Waldanlagen umgrüßen die Straßen schon. Da wo sie enden, ist die Höhe erreicht; dort ladet das Gasthaus, seit 1891 zur Rast, kurz vorher auf der Ostseite vor dem Wasserwerk steht ein Denkstein, ein Sandsteinobelisk auf quadratischem Sockel mit vier Reliefs in Bronzetafeln, seit 1910, er verkündet ein Stück preußischer Geschichte, er erinnert an das Lager Friedrichs II. auf der Goldberger Höhe vor der Schlacht am 15.08.1760.

Auf der Hochfläche die man auf der Höhe stehend südwärts und westwärts übersieht, hat sich manches kriegerisches Ereignis abgespielt. Im Dreißigjährigen Kriege ist da mehrere Male gestritten worden. Am heftigsten war das Gefecht am 13. Mai 1634, in dem die Sachsen unter Arnim hier die Kaiserlichen warfen. Das Denkmal des Feldherrn steht in der äußeren Goldbergerstraße, es stammt von dem Bildhauer Cauer und wurde 1912 enthüllt.

Denkmal Arnim

Auch Napoleons Heer lagerte 1813 hier oben. Bei klarem Wetter entfaltet sich dem Beschauer auf der Siegeshöhe ein Landschaftsbild von größter Schönheit, von West über Süden nach Osten umsiedeln Berge die wellige Hochfläche. Im Westen seitab winkt der Gröditzberg, dichter aneinander drängen sich dann der Wolfsberg, der Sargberg, dahinter der Probsthayner Spitzberg, dann der Willmannsdorfer Hochberg, Mönchswald, Heßberge, über ihnen erhebt sich fern das Riesengebirge, stolz das Haupt der Koppe ins Licht gestellt, weiter südostwärts dämmern Sattelwald, Hochwald, Storchberg, Buchberg, Hornschloß; noch weiter das Massiv der „hohen Eule“, ganz im Osten endlich, getrennt von all den anderen Bergen, der ehrwürdige „Zobten“, davor die Türme von Wahlstatt.

Evangelische- und Klosterkirche Wahlstatt

Wer sich daran satt gesehen hat, mag nun auch einen Blick nach der Stadt tun!

Dazu muß der Wanderer umkehren und am Denkstein von 1760 vorbei den Steig ostwärts durch die Waldanlagen gehen, so gelangt er auf den Matthäushügel

Mattheushügel

oberhalb der Rodelbahn und hier öffnet sich ihm ein weiter Blick von West über Nord nach Ost. Da ist zur Linken das Schwarzwasserbruch und die Reihendörfer, am Rande, die Heide dahinter, da grüßt vom Rehberg herüber die Siegessäule zwischen Hummel und Panten.

Zeuge des Sieges Friedrichs II. über Laudon; da schaut aus Waldferne Kloster Leubus, die Türme von Wahlstatt ragen zur Rechten jetzt, und unter dem Beschauer dehnt sich, die Arme weit ausspannend die Stadt mit vielen Türmen, mit der schönen Villenvorstadt des Südens sich näher und näher an die Grünanlagen unter dem Mathäushügel heranschiebend, an dieses seit 1890 angelegte und seitdem mehrfach erweiterte „Bürgerwäldchen“. Das Auge erfaßt hier ein großes Stück Geschichte, denn nicht nur das Schlachtfeld von 1241 und 1760 bekunden sich durch Säulen und Türme, die weißschimmernde Kapelle vor Lindenbusch erinnert an den Dreißigjährigen Krieg und seine Scharmützel, sowie an den Sieg der Liegnitzer unter A. Bitschen gegen die vertriebenen Piasten an der Kriegskoppe, welche die Kapellenhöhe gerade verdeckt, (1452); da Dorf Barschdorf im N.O. gemahnt an das Artilleriegefecht vom 26.9.1757, und ganz rechts hinter der auffallenden Kirche von Hochkirch beginn schon jenes Plateau, auf dem die Schlacht vom 26.8.1813 sich entwickelte, deren Abschluß bei Crayn und Dohnau im Neisse-Katzbachtale man nicht von hier, sondern von der Siegeshöhe (Dohnau, Elbrandhöhe) erkennen kann.

Ins Herz der Stadt!

Zurück zur Goldberger Straße! Zwischen ihrem langen Arm und dem noch längeren der Jauerstraße entwickelte sich in den letzten fünfzig Jahren die schöne neue Südstadt mit ihrem Villen, Gärten, Schmuckanlagen. Ihre Hauptzierde ist der Hindenburgplatz, 1899 geschaffen, seine Krönung bildet das 1909 fertiggestellte monumentale Lyzeum mit Studienanstalt an der Nordseite des Platzes, der früher nach dem berühmten Kapellmeister Bilseplatz hieß.

Bilseplatz

Gleich dahinter liegt das städtische Museum, das unter des Professors Arnold zum Winkel liebevoller und getreuer Pflege ein Schmuckkästlein der Heimatkunde und Altertumskunde geworden ist, es birgt im Erdgeschoss Zeugnisse der Vorgeschichte und Geschichte; im 1. Stock eine kulturgeschichtliche Sammlung, im II. Stock eine Sammlung aus dem Zeitraum von 1600 bis zur Gegenwart, biologisch geordnet, im Oberlichthof eine naturgeschichtliche Sammlung der Heimat. Geöffnet ist das 1911 geschaffenen Museum: Werktags 10 – 1 Uhr mittags und im Sommer auch von 4 – 6, Sonntags stets 11 – 1 mittags.

Auch das Stadtarchiv (Petristraße), die Peter-Paul-Bibliothek und Stadtbibliothek, im evangel. Gymnasium, seien hier erwähnt. Das Stadtarchiv enthält seit 1338 unversehrt wertvolle Handschriften, die Peter-Paul-Kirchenbibliothek birgt wahre Schätze von Handschriften und alten Drucken, z. B. die kostbare Bilderhandschrift des Sachsenspiegels.

Das evangelische Gymnasium, mit Realgymnasium jetzt verbunden, 1865-1867 erbaut im Zuge der Baumgartallee, ist vom Museum aus bald erreicht.

Ratsgynasium

Westlich vom Gymnasialplatz erstreckt sich der Gebäudekomplex des Gerichtsgefängnisses und des Land- und Amtsgerichts (Ziegelrohbau); östlich an der Ecke der Baumgartallee erhebt sich das Reichsbankgebäude. Von da nur wenige Schritte noch, da öffnet sich der Friedrichsplatz, in seiner Mitte das Denkmal des großen Königs (1869) modelliert nach einem Schadowschen Standbilde in Stettin. Die Mädchenmittelschule schließt im S.O. das Landschaftsgebäude im Osten, das Neue Rathaus und die Peter-Paul-Kirche im N.N.O. die Fläche mit ihren Baumgruppen und anderen Schmuckanlagen ab. Hier ist Kirchhofsboden vor der alten Stadt, deren Mauer mit der Linie der Pfortenstraße nach dem Rathause hin zu denken ist.

Dieses „Neue Rathaus“ Spätrenaissance im Stil hervorhebend , sei 1905 so erbaut, ist der gewaltigste Neubau der Stadt, obwohl dem Hause noch der zweite Flügel fehlt. Hinter ihm steht noch die sehr alte Petrischule mit schönem Renaissanceportale von 1581, das schon 1309 gegründete Stadtgymnasium hat Jahrhunderte hier geblüht, jetzt sind Volksbücherei und Lesehalle im I. Stock, an der Rückseite des Gebäudes am Elisenhof ragt noch ein Stück der alten Stadtmauer, wer es betrachten will, muß zwischen Rathaus und Schule den Durchgang zum Feuerwehrdepot nach S.O. durchschreiten und sich dann vor den Feuerwehrschuppen nach N.O. wenden.

Kehre zurück und sieh dich um nach der Peter-Paul-Kirche, die den Platz nach Norden abgrenzt und vom großen Ringe trennt. Hier stand schon 1208 eine Kirche, aus Holz. Die steinerne Peter-Paul-Kirche im gotischen Stil wurde 1378 vollendet und viele Schönheiten ihres Innern, die sehr beachtenswerten Seitenkapellen (Schützen-, Fleischer-Popplausche und Fürstenkapelle), stammen aus dem 15. Jahrhundert, die im Renaissancestil aus Sandstein gefertigte Kanzel wurde 1585 fertig; der Hauptaltar stammt aus dem Jahr 1756, eine Gesamterneuerung der Kirche samt Türmen wurde 1884 vollendet, seitdem ziert den Südturm das Glockenspiel von 19 Glocken das der Tischlermeister Eduard Conrad stiftete. Das interessanteste kirchliche Altertum von Liegnitz ist der erzgefertigte Taufstein dieser Kirche, er ist sicher sehr alt. Der Kesselfuß zeigt das Böse darstellende Drachengestalten als Zeichen des bezwungenen Heidentums, Reliefs von Engeln tragen das Heilsgefäß. Die Außenwand der Schale deutet in zwölf Flachreliefs die ganze Geschichte Christi an. Die Inschrift darüber heißt lateinisch: Hic babtizatum babtismi fonte renatum det Christus gratum sue matris visere natum. „Ist hier einer getauft und wiedergeboren vom Taufquell , lasse Christum ihn schauen den Gnadensohn seiner Mutter“.

Außer diesem Taufstein ist in der Sakristei beachtlich ein Flügelaltar, dessen Mittelstück zwar fehlt, dessen Seitenflügel aber sehr feine Bemalung zeigen, hier gibt der eine Flügel die heilige Hedwig mit einem schönen Kopf, der linke eine reizvolle Darstellung der h. Anna selbdritt. Dieser Altar ist auch ein altes Stück. Endlich stehen in der Peter-Paul-Kirche in der mittleren Kapelle der Südseite die Sandsteinfiguren Herzogs Wenzels V. und seiner Gemahlin, die einzigen alten Grabdenkmäler des Herzogshauses, welche erhalten blieben und aus der Johanniskirche hierher kamen. Die Türme der Peter-Paul-Kirche sind 80 bezw. 81 m hoch. Das Westportal der Kirche zeigt die Gestalten Luthers, Joachims II., Melanchthons, das schöne Nordportal die Anbetung der Könige, die Figuren des Petrus und Paulus. Zweifellose bildet diese Kirche eins der sehenswertesten Gebäude in Liegnitz. Du stehst jetzt im Herzen der Stadt, an seinem Ringe, den einst Lauben umliefen, sie wurden aber schon 1344 abgerissen. Vor der Kirche, die Langweiligkeit des geraden Straßenzuges von der Goldberger Straße zur Frauenstraße schön unterbrechend, steht von alten Kastanien umhegt, ein alter Brunnen (1588), den seit 1731 der Neptun oder Gabeljürge ziert.

Das hohe gotische Kirchengemäuer dahinter, das alte Rathaus, Barockbau, 1736 – 1740 erbaut, mit seiner wundervollen Treppe davor, bildet der Gabeljürgenplatz jetzt das feinste Schmuckstück, das Liegnitz besitzt. Das Rathaus, dessen Bau der Herzog den Bürgern 1318 gestattete, 1338 abgebrannt, danach 1380 aus Stein im gotischen Stil erbaut und unter Karl VI. als Barockbau neu aufgeführt, sollte eigentlich einen Turm haben, aber der Ausbruch des I. Schlesischen Krieges hat es verhindert. Das Wappen der Stadt zeigte anfangs zwei Schlüssel nur, den böhmischen Löwen führt es erst seit 1453 seit Ambrosius Bitschens großer Zeit. An dies alte Rathaus schloß sich ehemals das Gewandhaus an, auch 1380 errichtet, an seine Stelle trat 1841 das Stadttheater, dem Palazzo Strozzi in Florenz nachgebildet im äußeren Aufbau. Den großem Mittelblock des Ringes, auf den dich mit dem Gabeljürgen der Weg gefügt hat, unterbricht hier die Fimmlergasse. Sieh dich hier gründlich um!

Da ist ein Haus an der Nordwestecke mit Erker, der Wachtelkorb, alte Sgraffittomalerei schmückt die Hauswand. Der Kaufmann Merten Schwencke, der es 1565 erwarb und den Bau erweiterte, dürfte es so geschmückt haben. Hier auf dem Ringe fand manch Ritterturnier statt, aus solchen Erkern sahen die Schönen dem Kampfe zu und belohnten die Sieger. Bei einem dieser Turniere wurde 1394 Herzog Bolelaus IV. tödlich verwundet und sterbend vom Ringe weggetragen.

Anschließend an das Wachtelkorbhaus stand da, wo heute die Jesuitenapotheke sich befindet, das ehemalige städtische Kaufhaus, 1491 dort errichtet und 1842 verschwunden. Wo das alte Theater und die alte Wache waren, steht heute der Häuserblock des Cafes Hauptwache. Erhalten sind von den vielen, den Ring ehemals füllenden Verkaufsständen die Heringsbuden, im Anfang des 16.Jahrhunderts vor dem Gewandhause erbaut und dessen Saal so verdunkelnd, dass er danach der “schwarze Saale“ (Rüstkammer der Stadt) genannt wurde.

In der Fimmlergasse waren die Stände der Sonnenbuden, die Reichskrämerverkaufsstände kann man noch sehen; wenn man den Torweg des Wachtelkorbhauses öffnet, blickt man in die alte enge Reichskrämergasse hinein. Das ist noch echtes altes Stadtbild! Jenseits mündet diese Gasse gegen den zweiten Marktbrunnen, mit dem Meerweib, seit 1412 (Fischweibbrunnen).

Fischweibplatz

Den Gesamtplatz teilt der Mittelhäuserblock in den südl. Kleinen und den nördl. Großen Ring. Es lohnt sich, einmal um den ganzen Ring herumzugehen. Fängt man an der Peter-Paul-Kirche an, so ist gleich das Eckhaus der Kolonnadenfront bemerkenswert (Ecke Passage und Goldberger Straßeneinmündung). Hier stand das Haus des Erbvogts, dem der Herzog die Stadtregierung 1252 übergab, hier prangte später das Patrizierhaus im Barock, welches der Familie Hohberg gehörte, hier war Friedrich der Große zu Gast, hier war später die“alte Landschaft“, 1884 – 1886 mußte das Gebäude fallen, um als Renaissancebau der Passagenfront neu zu erstehen – Ueberschreite die Goldberger Straße. Das Eckhaus (Ring 36), war des „alte Weinhaus“, sein schönes Portal, steht jetzt im Hofe.

Der „Rautenkranz“ barg schon viele hohe Gäste, auch Alexander I von Rußland. Gehst du an dieser Seite (südwestl.) des Ringes weiter, so hast du zur rechten Rathaus, Theater, Wachtelkorbhaus, vor dir im Durchblick die stolzen Türme der Johanniskirche. Du wendest dich jetzt an der Nordseite entlang und erreichst an der Ecke Ritterstraße - Burgstraße (hier wohnten die Ritter – und dort ging es zur Burg) das schöne Frührenaissancehaus, in dem Ambrosius Bitsche wohnte, von dessen Fenstern später Napoleon auf den Ring sah. In seinem Keller (Bitschens Wappen über den Kellerportal) haust heute die „Schlaraffia“ ein alter unterirdischer Gang, verfallen bis auf ein kurzes Stück, führte von diesem Hauskeller zum Rathause hin.

Du siehst von hier zum Gabeljürgen hinüber und zur Rathaustreppe. Nicht weit von diesem Bitschenhause gegen die „Hauptwache“ hin stand ehemals die Staupsäule. Sehenswert ist an der Ostfront noch die alte Stadtapotheke, welche 1439 von der Herzogin an die Stadt überlassen wurde, und das Dovehaus, Heimstätte des berühmten Meteorologen Dove, durch eine Tafel gekennzeichnet. Wie viel schlesische Geschichte hat dieser Marktplatz erlebt! Wie viel große Männer sind über ihn geritten und gegangen. Auch der kühne Schwedenkönig Karl XII. ist darüber getrabt, wie Napoleon und Alexander und Blücher, Friedrich der Große und seine Generäle.

Nach dem Breslauer Platz und zur Katzbach.

Du begegnest hier noch einmal der Vergangenheit von Liegnitz. Schon in der Frauenstraße findest du sie in den alten Portalen einiger Häuser, aber deutlicher redet sie zu dir am Marienplatz, an der Liebfrauenkirche.

Diese Gegend stellt wohl jene alte Holzstadt dar, die 1241 ganz niederbrannte, und hier stand jene alte Kirche, in der Herzog Heinrich der fromme sich den Segen geholt haben soll, ehe er gegen die Mongolen zog.

Die gotische Kirche in ihrer jetzigen Gestalt entstand nach dem Brande von 1822 und wurde 1905-06 auch im Innern erneuert und verschönt (Buntglasfenster). (Altarbild) Schuhe der heiligen Hedwig werden hier gezeigt). Ihre Türme sind 64 m hoch. 1192 soll sie zum ersten Mal aus Stein erbaut worden sein und 1338 ist sie niedergebrannt, 1362 – 86 wurde sie wieder gebaut und stand so bis zum Brande von 1822. Der Gebäudeblock südlich davon mit dem Gasthof zum Bischofshof erinnert daran, dass hier der Einkehrhof des Breslauer Bischofs war, bei welchem sich im 18. Jahrhundert die Kirche zum hl. Nepomuk befand, 1727 dort errichtet. Ein großer Klosterbau umrahmte den Platz zwischen dem neuen Zollamt und der Wilhelms-Oberrealschule, deren Turnhalle und Festaal nichts anderes sind, als die Mauritiuskirche, die zwischen 1700 – 1723 hier im Barockstil erbaut wurde. Schon Boleslav II. stiftete das Jungfrauenkloster „Zum heiligen Kreuze“, später lebten Dominikaner hier, sie verließen den Platz 1526, und 1534 zogen die Benediktinerinnen ein, deren altes Kloster der Mauerbefestigung wegen damals fiel; es lag bei dem jetzigen Ziegenteich, der ehemals Wiese war. Die Oberrealschule hat seit 1909 einen Anbau, ihre beiden Höfe bergen noch manch Stück Altertum (Portale, Grabsteine); der Vorderhof besitzt einen hübschen Renaissancebrunnen (von der Gewerbeausstellung 1860 her) , und am Eingang stehen zwei alte Schildhalter, die ehemals den Goldberger Torturm schmückten. Auch die Aula ist sehenswert.

Brunnen Marienplatz

An dem Außenhof und Neubau der Oberrealschule vorbei führt der Weg zum Breslauer Platz, und weiter zur Katzbach, auf der Brücke steht der heilige Nepomuk (Bemerkung, später steht es am Schloss) und jenseits liegt die Carthause, ein Stadtteil, dessen Namen von dem dort 1423 gestifteten, aber längst spurlos verschwundenen Carthäuserkloster herstammt. In der Carthause stehen zwei schöne Kirchen, die 1902-05 errichtete katholische Dreifaltigkeitskirche und in reizvoller Lage jenseits des Flusses die evangelische Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche (1905-08).

Liegnitz besitzt außerdem noch zwei kleine Kirchgebäude, in der Marthastraße die Kirche der Altlutheraner, und in der Bolkostaße gegen die Katzbach hin, von Bolko von Richthoven geschaffen, die Kirche der „Apostolischen Gemeinde“-.

In der Verlängerung der Carthausvorstadt sind die neuen Kirchhöfe angelegt, dahinter auf Kunitz zu, berühmt durch den See mit seinen Möwen, erstreckt sich eine Siedlung, eine andere liegt jenseits der Gerichtsstraße nach SO im Gelände der alten Flugzeughalle und Funkerkaserne.

Funkerkaserne

Im Zuge der Gerichtsstraße stand ehedem im Feld das Hochgericht, der Galgen.

Wer keine Zeit hat auf der Carthause einen Besuch zu machen, der bleibt am Breslauer Platz, von dem er links oder nordwärts den Anlagen oder der Straßenbahn folgend den Bahnhof in wenigen Minuten erreicht, rechts oder südwärts aber die eigentlichen Schmuck- und Parkanlagen der Stadt betritt. Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal von Boese wurde 1898 enthüllt, andere Denksteine in den Anlagen, das Löwendenkmal,

Löwendenkmal

der Hellwig-Wedelstein, das Königsgrenadier-Denkmal, das Grab des Fähnrichs E. F. Rosenstiel, sie alle erinnern an große Heldenzeiten, die napoleonische, die bismarcksche und an die des (Anm. des I.) Weltkriegs. Jenes Grab des Fähnrichs Rosenstiel ist ein Ueberbleibsel der alten Kirchhöfe, die einst hier am Rande der Stadt hinter Wall und Gaben sich hinzogen. Aus ihrem Gelände zusammen mit Wiesen, Gärten und Hag entstand im 19. Jahrhundert nach und nach der schöne Stadtpark mit seinen Lindenalleen, seit 1835, mit dem Ziegenteich, dem Schießhause (1849 dort errichtet) dem Palmenhain mit heizbarem Teich,

seit 1905 und dem Palmenhause (1898). Das jetzige Schützenhaus wurde erst 1882 errichtet, die Schützenbrüderschaft wird schon 1414 erwähnt, und das berühmte Mannschießen kam um 16.00 auf, zuerst als jährliche Feier, manchmal lange Zeit durch Not und Krieg aufgehoben, seit 1882 meist in fünfjährigem Turnus wiederholt.

Mannschießen

Diese Parkanlagen mit dem Palmenhain und Teich in der Mitte bilden das Juwel der Gartenstadt Liegnitz. Das mußt du gesehen haben“!